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Leben auf der Tartanbahn - cosibullig120

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Sportler werden nicht älter – sie wechseln nur die Altersklasse. Standesgemäß wird das gerne ein bisschen sportlich gefeiert. Deswegen bin ich zu meinem 40ten Geburtstag 40 Kilometer und zu meinem 50ten 50 Kilometer gelaufen. Zum Glück bin ich nicht Basketballer, mit 50 Bällen zu spielen, wäre bestimmt sehr schwer. So ein paar mehr Kilometer als Marathon zu laufen, ist dagegen für mich glücklicherweise eher unproblematisch (siehe „Lebenslauf im Wiesental“ in „Abgelaufen“, Agon Sport Verlag 2012)

Je älter meine Freunde und ich werden, desto kritischer wird das allerdings mit den Geburtstagsstrecken. Ob ich zu meinem 100ten eine 100- km- Rollator-Party mache, muss ich mir noch überlegen.

Aber zunächst einmal hatten Conny und Sigi, zwei Urgesteine der Ultraszene, die Altersklasse gewechselt. Sie wurde 55, er 65, das haben sie zusammen gezählt und gesagt, 120 km zu laufen wäre eigentlich angemessen. Damit kommt aber der gewöhnliche Geburtstagsgast doch an seine Grenzen. Deswegen haben sie ihren Plan modifiziert: Machen wir doch einfach einen 24-Stundenlauf in einem Stadion. Da bleiben die Vielläufer, Wenigläufer und Garnichtläufer schön nahe zusammen. „Cosibullig120“ nannten sie das Event entsprechend ihrer Initialen. Noch dazu wollten sie keine Geschenke sondern lieber für einen guten Zweck sammeln. Jeder Teilnehmer hatte also einen festen Obulus als Mindestbetrag zu entrichten, nach oben war die Skala offen. Damit war die Organisation gesichert und eine gewisse Spendensumme auch. Soweit eine sehr nette Idee.

Aber irgendwie auch speziell.

Ich laufe sehr gerne, aber eigentlich nicht auf dem Sportplatz. Lieber mache ich ein Sprinttraining von Straßenlaterne zu Straßenlaterne oder am allerliebsten laufe ich durch den Wald, bergauf, bergab. Da macht das Gelände den Trainingsplan und dabei kann ich dann noch Rehe beobachten. Die waren im Troisdorfer Aggerstadion nicht zu erwarten. Stattdessen viele bekannte und weniger bekannte Gesichter aus der Ultraszene. Es heißt zwar immer, die Ultraszene ist klein, quasi eine Familie, aber es ist mitunter nicht so leicht, sich auf 230-km-Strecken überhaupt zu treffen. Das ist eben genau wie in Familien, wo es immer ein paar Großtanten und Nichten gibt, die noch nie jemand gesehen hat. Das heißt, wir Ultras kennen uns nicht wirklich alle oder vielleicht nur vom Namen. Wenn wir einfach zusammen Nudelsalat gegessen hätten und Bier getrunken, wäre das sicherlich auch so geblieben, denn üblicherweise wird bei großen Parties mit 50 Leuten und mehr, dann doch nur mit dem Tischnachbarn geredet. Aber Sigi hat das gleich anders eingefädelt indem er auf seiner Website jeden persönlich vorgestellt hat. Da wussten wir schon ein bisschen voneinander. Ja und dann haben uns die zwei Geburtstagskinder eben 24 Stunden ins Aggerstadion geladen. Da lernt man ziemlich viel über seine Mitmenschen, aber ganz besonders viel über sich selbst.

Conny und Sigi hatten immer betont, Cosibullig120 sei kein Wettkampf und jeder könnte seine Runden selber zählen. Nun kann ich natürlich ohne Wettkampf rund um Hattingen durch den Wald laufen, wenn diese Tour geschafft ist, bin ich einfach wieder zu Hause. Aber im Stadion? Wie ich es selbst schaffen sollte über 24 Stunden im Blick zu haben, wie oft ich die Bahn entlang geschlappt war, das schien mir kompliziert. Und meine GPS-Uhr ist nicht so ein Ausdauersportler, das wusste ich schon vom letzten Wochenende, dass die nach acht Stunden schlapp macht. Dann kam mein Partner alias Thomi Laufgott ins Spiel und meinte: „Naja, wenn ich mit unserer neuen Anlage die Rundenzählung mache, das wäre doch vielleicht cool und für die Anlage ein Test“.

„Obercool“, antwortete ich und Conny und Sigi waren über dieses Geschenk ebenfalls hoch erfreut. Auch wenn Laufen ein selbst belohnender Prozess ist, ohne Rundenzählung hätte ich das nicht so lustig gefunden. So brauchte ich keine Uhr, keine Zählhilfen, keine Konzentration. Es machte einfach jede Runde „Piep“.

Wer die Zeit für alle Teilnehmer misst, muss natürlich lange vor dem Start vor Ort sein, um alles aufzubauen. Deswegen hieß es an dem Cosibullig-Samstag für uns: Sieben Uhr aufstehen, zum Bäcker flitzen und nach einem kurzen Frühstück, Auto packen und auf nach Troisdorf. Der Wetterbericht war sehr durchwachsen und ich hatte Thomi darauf hingewiesen, dass er seine Anlage sicher auch dahin gehend würde testen können, ob sie bei Wind und Wetter besteht. Daraufhin hatte er noch zwei Regenplanen gekauft. Das war auch gut so: Kaum im Stadion, kam der erste Guss. Kurz danach schien aber wieder die Sonne und zwar so ordentlich, dass sich das Klima tropisch anfühlte. Wie im Flug vergingen zwei Stunden mit Aufbauarbeiten. Dafür musste ich auch noch meinen einzigen Ausflug in den Wald machen, um zwei Steine zu organisieren, die die Planen befestigen sollten. Danach habe ich das Stadion tatsächlich 24 Stunden nicht mehr verlassen. Wir bekamen alle einen Chip für das Fußgelenk und eine hübsche Startnummer, die zusätzlich das Geburtstagspärchen zeigte. Eine super Erinnerung an „Cosibullig120“. 12 Uhr sollte es losgehen oder besser loslaufen, aber dann war es doch 12:15, weil wir noch Startfotos machen mussten und Happy birthday singen. So kam noch eine richtig tolle Startatmosphäre auf, obwohl wir doch alle nach nicht einmal einem halben Kilometer schon wieder an der Verpflegung waren und unsere Schuhe richtig schnüren konnten, die Jacken aus- oder anziehen und was einem noch so einfällt. Ultraläufe beginnen eben in der Regel entspannt und 24 Stundenläufe noch entspannter.

Ich hatte gesagt, dass ich auf alle Fälle 55 Kilometer, also Connies Lebensalter, laufen würde. Das konnte ich versprechen, obwohl ich mich die Woche vorher beim P-Weg ziemlich verausgabt hatte. Aber so ein Tag im Wald gibt eben auch Kraft, entsprechend hatte ich vom Sauerland zwar ein paar Tage Muskelkater mitgenommen, aber ansonsten ging es mir sehr gut. 55 Kilometer laufen, dann schlafen, ein bisschen quatschen und feiern, das war also Plan 1.

So begann ich die 24 Stunden mit mehr oder weniger flottem Schritt. Die Bahn schreckte mich nicht mehr, denn kurz vorher war mir eingefallen wie gerne ich schwimme. Am liebsten zwar im See, aber unsere 50m Bahn im Verein ist für mich auch ein Paradies. cosibullig120 VIGLi

50 Meter!

Dagegen sind 400 Meter Tartan nahezu unendlich. Dazu lief die Musik, die mich zu Tanzschritten beflügelte und ich konnte hier und da einen Bekannten herzen oder mit ihm plaudern. Zum Beispiel mit dem Steppenhahn und seinen Söhnen, mit denen ich vor fünfzehn Jahren meinen ersten und bisher einzigen 24-Stundenlauf erlebt habe. Ich tanzte und plauderte mich also über die Strecke und machte dann nach 25 km erst einmal Pause in der sonnenbeschienenen Wiese. 24 Stunden sind viel Zeit für 55 km, da musste ich nicht hetzen. Außerdem sollte dieser Partylauf auch ein Test sein, beschloss ich, wann sonst hat man schon die Gelegenheit, so genau die eigenen Bedürfnisse kennen zu lernen. Die genaue Kenntnis der eigenen Notwendigkeiten, Regenerationsmöglichkeiten und Belastungsgrenzen ist aber das A und O im Ultrasport.

Wer von der Cosibullig-Bahn länger pausieren wollte, hatte oberhalb der Tribünen ein gut bestücktes Holzhäuschen als Treffpunkt zur Verfügung, wo es Kuchen, Kaffee, Salat und immer jemanden zum Plaudern gab. Aber irgendwie war das doch schon ziemlich weit weg, so eine ganze Treppe nach oben. Eigentlich standen da auch eher die Nicht-Läufer oder Ex-Läufer. Das war nicht mein Platz, stellte ich schnell fest. Nach kurzer Zeit war ich mit der Bahn also bereits so vertraut, als wäre ich dort zu Hause. Wir hatten ein kleines Verpflegungszelt an der Strecke und dann vor allem die Rundenzählung. Sobald wir Läufer über die Matte trabten, piepste es und auf einem großen Bildschirm erschienen Name, Rundenzahl und Platzierung.

Das hatte etwas Magisches.

Ich meine, 400 Meter laufe ich oftmals im Leben. Allein bis zur Arbeit habe ich 800 Meter, aber wenn ich die renne, bin ich nur schneller im Dienst. Auf der Bahn dagegen hatte ich nach 400 Metern eine Runde mehr. Das ist so, als würde ich Juwelen sammeln oder Sandkörner, eigentlich ist das egal, der Sammeltrieb ist einfach geweckt. Andere Leute sammeln Briefmarken oder Pilze und ich eben Runden. Piep, wieder eine im Körbchen.

Der Vorteil von einem Stadionlauf ist ganz klar die einfache Logistik, die große Sicherheit und das Kommunikative. Statt Dunkelheit gibt es Flutlicht, wer Kreislaufprobleme bekommt, ist sofort wieder am Buffet, am Schlafsack oder in den Armen seines Liebsten und wer sich unterhalten will, findet immer jemanden. Da kann der Gelegenheitsläufer auch mit dem Crack plaudern, weil so ein, zwei Runden lässt sich das Tempo leichter anpassen, als über 240 km in irgendeiner Wildnis. Als vorteilhaft erwies sich das auch, als die Wetterkapriolen uns ein Gewitter bescherten. Es krachte und blitzte sehr fürchterlich und wir flüchteten uns alle schnellsten unter die Tribüne. Sigi nutzte das gleich, um die Gewinne aus der Tombola zu verteilen und so hatten wir mitten in Sturm und Regen ein gemütliches Beisammen sein. Das wäre uns auf freier Strecke wohl kaum so gelungen.

Der Nachteil am Stadionlauf ist, dass es kein echtes Ziel gibt, keinen Ort, der zu erreichen ist, weil wir im Grunde die ganze Zeit schon da sind. Es ist pures Laufen sozusagen, befreit von jeder scheinbaren Erklärung. Auch die Begründung, dass wir Bahnläufer uns super unterhalten können, stimmt nur begrenzt, denn oft sind wir alle ziemlich still. Das Beste an den Unterhaltungen ist vielleicht, dass keine Floskeln notwendig sind, um sie zu beginnen oder zu beenden. Wenn einer das Tempo anzieht, lässt er eben seinen Gesprächspartner hinter sich und so ziehen wir alle wie Wolken über einen Himmel, mal mehr oder weniger dicht und oft auch einfach versunken in die eigene Schrittfolge. Den ganzen Alltagswahnsinn auszublenden und sich auf diese eine Aufgabe zu besinnen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, hat etwas Erfrischendes. So trabten wir Wolkenläufer also mitunter ganz schweigsam gemeinsam über die Bahn, vereint in unserer Aufgabe zu laufen.

Ich merkte allerdings schnell, dass es für mich wichtig war, mir Ziele zu stecken. Ansonsten sind 24 Stunden ein Meer von Zeit. So viel laufen, wie ich möchte, na gut. Aber was möchte ich, wie will ich eine 24stündige Geburtstagsparty verbringen? Ich wollte mich nicht zu sehr verausgaben und in jedem Fall nachts schlafen. Durchwachte Nächte liegen mir nicht und zum Glück besucht mich der Sandmann in fast jeder Ecke und solange es warm ist, hindert mich nichts an meinen Träumen. Aber 24 Stunden minus acht Stunden Schlaf sind immer noch 16 Stunden. Das Ziel, Connies Lebensalter zu laufen, hatte ich schon vor der Nachtruhe erreicht. Also entschloss ich mich Sigis 65 Lebensjahre in Runden aufzuwiegen. Das war Plan 2. Außerdem begann ich, mir verschiedene Fragen zu stellen. Wenn Verpflegung nahezu allgegenwärtig ist, was ist mein idealer Rhythmus? Wie gut erhole ich mich nach einem langen Lauf auf dem Fußboden eines Vereinsheims, werde ich fähig sein wieder zu laufen oder werde ich wandern müssen? Welche Tempowechsel kann ich kompensieren, ohne mich total zu verausgaben? Wie gut ist meine Regenjacke, werde ich motiviert sein auch im schlechten Wetter zu laufen, wenn ich nicht muss? Mit allen diesen spannenden Fragen im Kopf kroch ich morgens um sieben aus dem Schlafsack. Thomi Laufgott war als einziger am Verpflegungsstand und gemeinsam versuchten wir, Tee zu kochen. Das Vorhaben scheiterte und ich beschloss, erst einmal, mit dem Morgensport zu beginnen. Also: Nur ein Schluck Wasser zum Frühstück und ab auf die Bahn. Zwei Läufer drehten dort ihre Runden, eine Frau war die ganze Nacht durch gewandert und hatte mittlerweile etwa zehn Runden mehr als ich. Sofort definierte ich mir neue Fragen: Wie lange brauche ich, um so einen Vorsprung wieder einzuholen? Geht das überhaupt, bin ich frisch genug, um wieder zu laufen? Außerdem hatte ich noch den Plan, dass ich am zweiten Tag die schnellste meiner 400-Meterrunden hinlegen wollte. Einfach diesem stets kolportierten Vorurteil entgegen treten, dass lange Läufe notwendiger Weise langsam machen. Natürlich stimmt das in vieler Hinsicht, aber manchmal ist es eher ein mentales als ein körperliches Thema, wie so oft im Ultrasport. So startete ich mit tausend spannenden Fragen in diesen neuen Tag.

Die Morgenrunden waren wunderbar. Es war ein wenig neblig, so nach und nach kam der ein oder andere Läufer wieder zu uns auf die Bahn und ich fühlte mich leichtfüßig, konnte locker ein Tempo von 5:30 Minuten pro Kilometer anschlagen. Ich verbiss mich regelrecht in das Tartanbahn-Rot, spielte Flugzeugstart auf der langen Gerade, Motorrad in der Kurve und dann wieder „Piep“ und der Morgen war gut. Nach etwa zwei Stunden hatte ich die tapfere Wandersfrau eingeholt und brauchte ein neues Ziel. Mittlerweile hatten die lieben Helfer mir auch Tee und ein Stück Kuchen organisiert. Perfekt, die nächsten Stunden konnten kommen.

200 Runden dachte ich mir, das ist eine gute Idee, das ist eine schöne Zahl als Ziel. Aber – Schwupps- schon waren die 200 Runden geknackt und ich feierte ein bisschen. „Das ist meine 200te Runde“ flötete ich jedem entgegen, der es hören wollte. „Wenn ich das meinen Freunden erzähle, 200 Bahnrunden, unglaublich“, überlegte ich laut.

„Da werden es sehr schnell weniger Freunde“, merkte ein Laufkollege grinsend an.

Langstreckenlauf ist einfach kein Fußball, das ist nicht für jeden nachvollziehbar wieso wir laufen, ohne einen Ball zu jagen. „Kann schon sein, ich bin ein bisschen komisch, wenn ich nach einem Tag auf der Bahn wieder komme“, hatte ich bereits einem Vereinskollegen angedroht. Aber er hatte nur die Achseln gezuckt und gesagt „Naja, wie immer also.“ Meine Freunde sind schon ziemlich super.

200 Runden waren also eingepiept und immer blieb noch viel Zeit bis zum Ende der 24 Stunden. Sollte ich duschen gehen und das Rennen beenden, einfach weil alle meine Ziele erreicht waren? Das erschien mir nicht plausibel, zumal ich keine Beschwerden hatte. Es war so, als würde ich köstliche Möglichkeiten einfach verschenken, wenn ich meinen Chip schon vor Ablauf der 24 Stunden abgeben würde.

Lieber erfand ich neue Ziele. 212 Runden war die nächste Aufgabe, zwei Mal Marathon. Aber nicht lange, dann hatte ich die auch im Sack. Also jammerte ich den Laufgott an: „ Zwei Mal Marathon ist erledigt und was kommt jetzt?“ Er hatte gut verstanden, dass ich mit einer Antwort „Laufen bis zum Schluss“ zu diesem Zeitpunkt noch nicht so viel anfangen konnte. Nach kurzem Rechnen stellte er mir deshalb die Aufgabe: 225 Runden, das sind 90 km. Guter Plan, ich war sofort begeistert und joggte los. Es fing ordentlich an zu regnen, ich wanderte und plauderte mit Patricia und als uns der Regen schier vom Platz spülte, fragte sie: „Machst du denn jetzt noch weiter?“

„Bis ich 225 Runden habe“, antwortete ich und bemerkte, dass ich dieses neue Ziel bereits wieder so fest verankert hatte, dass ich es nur aufgegeben hätte, wenn sich die Bahn plötzlich eingerollt hätte. Cosibullig120 VIGLitanztklein

Als die letzte Stunde anbrach, waren die 225 Runden im Sack und es schüttete. Guter Zeitpunkt, um aufzuhören? Oder, um die Regenjacke zu testen. Also, ab in den Regen und in die letzte Stunde. Es schüttete weiterhin und ich fing an, mit einem zweiten Regenjackentester zu wandern und zu plaudern. Über Deutschlandläufe, Triathlon, den optimalen Trinkrhythmus. Andere setzen sich in die Kneipe, um zu quatschen und wir schlappten eben über die Pfützen-bedeckte Tartanbahn. Das verleiht den Gesprächen eine besondere Tiefe, weil es jenseits der Worte eine Verbindung gibt, die uns dabei in eine kleine Ultralaufblase einschließt. Darin gibt es kein „warum“ oder „was soll das“ sondern nur ein Vorwärts. Die Bahn stand übrigens nicht nur vom Regen unter Wasser sondern auch vom Rasensprenger, der nach Connies Beobachtung mitten in der Nacht startete und die Bahn besprengte. Ultraläufer erleben schon seltsame Sachen.

Mir wurde kalt beim Plaudern, also fing ich wieder an zu laufen. Michael sagte, am Schluss sind die Kämpfer auf der Bahn. Aber ich kämpfte gar nicht, ich hatte nur ein neues Ziel: Wieder warm zu werden. Und dann waren es nur noch 20 Minuten und ich fragte mich, wie viele Runden ich in 20 Minuten schaffen würde. Ich rannte und rannte und plötzlich war Sigi am Mikro und sagte: „Es sind noch neuneinhalb Minuten, wir vermessen natürlich keine Restmeter, nur ganze Runden werden erfasst.“ Noch vier Minuten, noch zwei Minuten und ich rannte und rannte und hatte plötzlich das Ziel, in den letzten zwei Minuten noch eine Runde zu laufen. Ich war allein auf der Bahn, die anderen hatten ihr Finish schon vollzogen, standen an der Tribüne und klatschten mir zu. „Noch 30 Sekunden“, raunte Sigi in sein Mikrofon und ich beschleunigte noch einmal auf den letzten Metern, um dieses verdammte 242.te Piep nicht zu versäumen. Hinterher stellte sich heraus, dass diese letzte Runde tatsächlich meine schnellste war: 1 Minute 54 Sekunden, das entspricht einem Kilometertempo von deutlich unter 5 Minuten. Das ist für mich eine hohe Geschwindigkeit, auch wenn ich vorher noch nicht 96 km gelaufen bin. Geburtstagskind Conny stand an der Strecke und strahlte, so wie alle weiteren Teilnehmer freudig lächelten. Mitten im Regen standen wir da und freuten uns, obwohl es jetzt gar nicht mehr piepte. Während ich mir trockene Sachen holte, legten die anderen schon mit den Aufräumarbeiten los. Jeder packte irgendwo an, als wären wir ein jahrelang eingeschworenes Team. Schon war die Piep-Anlage wieder eingepackt und der schöne Pavillon mit den Schokoplätzchen und Käsewürfeln vom Platz verschwunden. Da war sie also wieder blank und rot, die Tartanbahn, ganz so wie wir sie am Tag zuvor dort vorgefunden hatten. Und doch war es nun eine andere, eine leuchtend-rote Heimat, der ich wehmütig ein Tschüss zu winkte. Piep.

VIGLi, 21. 09.2014

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