Jetzt ist es offiziell. Ich bin Betreuerin.
So etwas kennt man aus der Psychiatrie. Aber beim Triathlon gibt es das auch.
Da gibt es sowieso manche Ähnlichkeiten. Dass Menschen in Badeanzügen mitten durch einen Ort radeln und laufen und dabei noch Applaus bekommen, kann nur funktionieren, wenn sich alle in eine gemeinsame Vorstellungswelt zurückgezogen haben. Nach dem Schwimmen ist es wichtig aufs Fahrrad zu steigen, anschließend müssen die Laufschuhe geschnürt werden und das so schnell wie möglich.
Darüber muss man sich schon einig sein.
Dass sich nicht alle in dieser Schwimm-Radel-Lauf-Welt befinden, wurde mir spätestens dann klar, als ich auf der Radstrecke vom Gütersloh Triathlon auf meine Franks wartete und stattdessen eine Anwohnerin mit ihrem Auto anrollte.
Auf die gesperrten Rennstrecke!
Wir vom Publikum sind auf sie losgegangen wie ein Mückenschwarm, doch sie sprayte daraufhin nur ihren Wortschwall in die Runde. „Sie müssen doch Mal für mich Verständnis haben. Ich muss zur Autobahn.“
Verschiedene Welten kann ich da nur sagen.
Aber von Anfang an. Seit Wochen stand Gütersloh bei mir im Kalender. Nicht weil ich mich für Waschmaschinen und das Miele-Museum interessiere, sondern wie immer ausschließlich für meine Franks, auch wenn sie unterdessen nur noch selten wirklich Frank heißen.
Es gab Liga- und Einzelstarts, zuletzt war sogar eine Frankine angemeldet und ich wusste: Das wird Live-Kino vom Feinsten.
Weil ich mich auch ein bisschen bewegen wollte, sattelte ich mein Tourenrad und strampelte am Vortag die 112 km gen Nordosten, also immer in die Richtung aus der der Wind blies.
Punkt zu Punkt Touren sind wirklich spannend, man erlebt wie sich die Landschaft allmählich verändert, nur die Windrichtung eben leider nicht. Ordentlich durchgepustet genoss ich dann die Gütersloher Altstadt, mein Hotelbett und die Vorfreude.
Kurz nach 8 am Sonntag Morgen hielt mich nichts mehr am Frühstückstisch und siehe da, schon entdeckte ich eine plappernde und lachende Gruppe hart gesottener Kerle. Meine Franks. Danach ging es Schlag auf Schlag, Wettkampf Besprechung, Action Fotos, „Blau-Weiß-Bochum“ brüllen. Zusätzlich beherbergte ich Ringe und Autoschlüssel. Die Franks konnten also rennen wie sie wollten, ohne mich kam keiner mehr weg. Am selben Tag waren zudem in anderen Orten und Ländern Blauweiße auf der Strecke über die wir zwischenzeitlich online informiert wurden. Eine Welt voller Zielsprints.
Die Gütersloh-Frankine hatte mir bereits am Anfang einen Betreuerausweis mit den Worten ausgehändigt: „Ich weiß zwar nicht, welche Vorteile das bringt, aber der war auch in der Tüte“. Später kam dann noch ein Frank-Kampfrichter auf mich zu und schob mir vertraulich, als wolle er mir einen Joint anbieten, einen weiteren Betreuer-Ausweis zu. Er wusste auch nicht wozu man ihn braucht, aber es fühlte sich großartig an, quasi doppelt zertifizierte Betreuerin zu sein. Das ist doch ganz anders, als wäre ich nur der Schlüssel-Fuzzi. Dabei war es auch so, dass alle Franks, die gerade nicht wettkämpften ebenfalls in den Betreuerstab wechselten. Vielleicht sollten wir das in der Psychiatrie auch Mal vorschlagen. Bei uns klappte das prima und wir brüllten dann zu fünft am Beckenrand, der Rad- oder Laufstrecke: „Das sieht gut aus, gib alles!“ Und der jeweils Allesgebende schwamm und schwitzte und und der Tag war gut.
Zudem war das Blau-Weiße Transportmobil direkt an der Strecke geparkt und weil unser BamBam am Vortag seine Kräfte in der Küche ausgelebt hatte, gab es dort Käse- und Pflaumenkuchen, wann immer wir wollten.
Und ich hatte den Schlüssel.
Bald waren wir auch fit darin, mit vollem Mund anzufeuern, die Kaffeebecher waren unsere Pokale. Das ist alles wichtig für die Regeneration und wie wir von unserem Medizinstudenten erfuhren, schützt Coffein auch vor Parkinson. Jedenfalls gilt das für Männer, die auf Honolulu leben. Triathleten stehen ja mit einem Bein sowieso immer in Hawai.
Vorerst waren wir allerdings in Gütersloh und statt Eisenmänner wurden Dalkemänner gekürt. Dabei ist Dalke kein Metall, sondern ein Nebenfluss der Ems, der 15 km lang durch Gütersloh fließt. Das haben die Wettkämpfer allerdings nicht bemerkt, denn sie waren im Tunnel. Das ist der Grund, warum Betreuer an der Strecke sinnvoll sind, denn wenn so ein Tunnelwesen unverhofft in die helle Welt schaut, weiß er manchmal nicht in welche Richtung es gerade geht. Die Dalkeman-Helfer haben deshalb auch während der Veranstaltung noch unzählige Pfeile auf den Asphalt gemalt. Aber das nützt nichts. Am Schwimmausstieg gab es nicht nur Pfeile, sondern sogar einen grünen Teppich, der die Athleten zur Wechselzone leitete. Dessen ungeachtet habe ich einen Sportler beobachtet, der stattdessen die Stufen am Übergang zum Nachbarbecken erklomm und wir Zuschauer mussten ihn zurückbrüllen.
Eigentlich verwunderlich, dass sich niemand an den Zweigen der Baum-bewachsenen Pfade entlang gehangelt hat. So ein bisschen Tarzan steckt schließlich in allen Triathleten und wenn sie keine Kuchen haben, essen sie Bananen wie es im Dschungel üblich ist. Aber statt in die oberen Stockwerke des Regenwalds, haben es meine Franks noch aufs Podest geschafft. Zweiter Platz, dabei sind sie für mich natürlich die number one. Und ich muss es wissen, ich bin schließlich Betreuerin,
VIGLi, 21.5.2023