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Mittsommer

Mittsommer

Das leuchtendgelbe T-Shirt gefiel mir. Das Problem: Das gab nirgends zu kaufen, sondern nur beim Mittsommerlauf. Start 5:18 Uhr in Düsseldorf.

Zu früh dachte ich und scrollte weiter durch die Vorschläge wie sich die Mitte des Sommers mit ihren langen Tagen feiern lässt.

Aber dann war Samstag Nachmittag, ich hing nach dem Lauftraining entspannt auf der Couch herum und plante eine Radtour für den Sonntag. Es waren 30 Grad gemeldet. Ich musste also früh aufstehen, wenn ich nicht auf dem Sattel gegrillt werden wollte. Moment Mal, Frühaufsteher stand auch auf dem gelben T-Shirt, fiel mir ein. Ich rief die Veranstaltungsseite noch einmal auf.

5:18 Uhr Start für 5,5 oder 11 km am Menzelsee in Düsseldorf, danach Frühstück, eine Sonnenaufgangsmedaille. Und das T-Shirt. Ich befragte den Routenplaner, 48 km und ein paar Hügel trennten Bochum vom Startpunkt. Machbar. Dann hätte ich Radtour und Lauf und T-Shirt überlegte ich. Alles bevor es heiß wurde.

So nahm das Abenteuer seinen Lauf.

Ich kroch Samstag um 19 Uhr in die Federn, um noch genügend Schlaf zu sammeln. Als der Wecker klingelte, griff ich fast automatisch Radhose, Turnschuhe, Helm, alles hatte ich bereit gelegt.

Kurz nach 1 Uhr ging es hinaus in die Nacht. Irgendwo dröhnte Musik, ein paar müde Partygänger liefen auf der Fahrbahn, jeder feiert Mittsommer eben anders. Nach zwei Kilometern hatte ich das Zentrum verlassen, rollte auf der Radtrasse Richtung Ruhr. Bekannte Wege, doch es war Vorsicht geboten. Allenthalben lagen vom Sturm in der vorigen Woche, Zweige auf dem Weg, die erst im letzten Moment im Lichtkegel meines Rads sichtbar wurden. Das blieb auf der ganzen Strecke das Hauptproblem. Die landschaftlich wunderschöne Strecke war um diese Zeit vor allem eins: Dunkel!! Ohne die Stimme meines Navigationsgeräts wäre mir so mancher Abzweig verborgen geblieben. Ich traf ein Reh, Fledermäuse, hin und wieder ein Rascheln im Gebüsch, ansonsten war es noch vollkommen still. Nach der Ruhr der erste Hügel, in Wülfrath der zweite. Ich freute mich über kleine Straßen mit Laternen, kreuzte in Erkrath einen Jahrmarkt, der im Tiefschlaf lag und hoffte im waldigen Neandertal, dass mein Fahrradlicht nicht kaputt ging. Außerdem war mir kalt. Im Büro hatte ich die Sommerhitze der letzten Tage so manches Mal verflucht. Jetzt in diesem finster feuchten Tal, ein Bach plätscherte, es roch nach Laub, da sehnte ich mich nach Licht und Wärme. Die ideale Vorbereitung für einen Sonnenaufgangslauf!

Kurz vor 4 Uhr hörte ich die erste Amsel singen, dann tauchten auch schon Menschen in sonnengelben Shirts auf.

Etappe 1 war geschafft!

Wer nun meint, um diese Uhrzeit würden sich nur ein paar Leute mit Schlafstörungen treffen, der weiß nicht, wie die Läuferschar tickt.

Noch ehe die Veranstalter ihre Utensilien aufgebaut hatten, wuselten überall Turnschuhmenschen herum, suchten Toiletten, Startnummern und T-Shirts. Letztere warfen allerdings Probleme auf, die gefragtesten Größen waren nicht vorhanden und eine Tauschbörse blühte. Einen schrecklichen Moment dachte ich, dass sich meine Shopping-Tour nicht gelohnt hätte, aber zum Glück passte mir auch S statt M und alles war gut. Es gab Musik, das erste Licht färbte den Himmel rosa und ich hüpfte mich ein bisschen warm. Pünktlich um 5:18 Uhr wurden wir Frühaufsteher auf die Strecke geschickt. Wunderschön auf Parkwegen, am See entlang in dem sich der Feuerball noch zögerlich spiegelte. Ich genoss die frische Luft, die vergnügten Mitläufer und wie sich meine Muskeln allmählich wieder wärmten. Tatsächlich wurde ich auf der zweiten Runde immer schneller und hatte Kraft für einen kurzen Zielsprint. Als 34 von sage und schreibe 165 Frühaufsteher-Frauen überquerte ich nach einer Stunde und 25 Sekunden die Ziellinie.

Dann Kaffee, Kekse, Bananen und das nasse Shirt gegen das neue tauschen, mich einreihen in all die sonnengelben Gestalten, die vergnügt in den Tag blickten. Wir applaudierten den Siegern, prosteten uns zu und ich sattelte wieder mein Rad.

7 Uhr, was für eine wunderbare Zeit zu radeln. Ein paar Menschen waren unterwegs zum Bäcker oder mit Hund, aber noch fehlte der große Ansturm. Ich bestaunte ein durchbrochenes Geländer, ein umgeknicktes Straßenschild und leider auch einen toten Dachs, von all dem an der Strecke hatte ich in der Nacht nichts geahnt. Da war nur der Lichtkegel meiner Radbeleuchtung gewesen, dieses winzig kleine Universum.

Als ich Velbert erreichte, kamen mir Motorräder und Autos entgegen, die wohl ins Grüne fuhren, sie schluckten die Stille mit einem Brummen und Surren, die Vögel waren verstummt. An der Eisdiele stand ich noch vor verschlossenen Türen und begnügte mich also mit meinem Proviant, bog bald darauf auf die Springorumtrasse in Bochum ein.

Es joggten, flanierten und radelten dort schon einige Outdoor-Freaks in der Hoffnung, der Hitze zu entgehen. Noch nicht 10 Uhr und schon 26 Grad. Bekannte Gesichter tauchen auf, kleiner Plausch hier, kleiner Plausch da. „Schönen Sonntag!!“ Und schon rollte ich mit meinem schönen T-Shirt und meiner schönen Medaille in mein schönes zu Hause, um mich im Liegestuhl über all die schönen Erlebnisse zu freuen.

VIGLi, 25. Juni 2023