Gestern war ich auf einer besonderen Party. Ich brauchte kein Geschenk für den Gastgeber, stattdessen musste ich mich in einem mehrtägigen Assessment-Center bewähren. Es ging insgesamt darum, vom gewöhnlichen Müsliriegel zum Kuchenbuffet aufzusteigen, was ja für eine Party deutlich der bessere Platz ist. Für meinen Karriereaufstieg musste ich zum Beispiel mehrere Hundert Briefumschläge mit Nummern bekleben und darauf achten, dass nicht Waffel-Teig sondern Chips in den Brief getütet wurden. Wobei es sich nicht um das Salzgebäck sondern elektronische Messgeräte handelte, denn die Partymeile eröffnete sich in der Obhut von Triathleten.
Unser Schlumpfverein hatte nämlich beschlossen, das selige Wettkampfglück für andere zugänglich zu machen. Deswegen befand ich mich in fröhlicher Gesellschaft von zahlreichen weiteren Teilnehmern des Helfer-Rekrutierungs-Assessment Centers.
Der Knüller an der Sache war: Wir wurden alle genommen!
Dafür war es auch unerheblich, dass ich zwischendrin Cappuccino getrunken und mich gut unterhalten habe, während andere über sich ständig wandelnden Listen brüteten. Dabei ist dann so ganz allmählich die Veranstaltung geschlüpft.
Wir Auserwählten erhielten gelbe Westen, die entweder mit Helfer oder mit Bauhaus beschriftet waren. Ein dezenter Hinweis darauf, dass Gartenarbeit ebenso zu unseren Pflichten gehörte wie psychologische Betreuung.
Wie kann ich meine Einkäufe über die gesperrte Straße transportieren?
Wie erreiche ich das Krankenhaus, obwohl Bochum nur aus Baustellen und Radstrecken besteht?
Wo ist die Toilette?
Wie viele Runden muss ich radeln?
Kann ich meine Medaille noch abholen, obwohl ich die Siegerehrung verpasst habe?
Manche Anwohner waren besonders pfiffig und bestellten angesichts gesperrter Straßen ihre Pizza mit dem Lieferdienst, dann musste sie immerhin nicht das Haus verlassen. Und wir Gelbwesten hatten dann den herum irrenden Pizzaboten zu betreuen.
Unsere gärtnerischen Aufgaben bestanden im Wesentlichen darin, Sand auszustreuen und grüne Teppiche darüber zu legen, die bei Benutzung Falten warfen, als hätten wir Melonen gepflanzt. Das wäre angesichts der Sommerhitze gar keine schlechte Idee gewesen.
Statt Melonen zu ernten, haben wir allerdings zunächst Mikado gespielt. Zahlreiche Metallstangen wurden dafür im Schwimmbad-Rasen versenkt. Am Wettkamptag sollten sie für die Fahrräder als Halterung dienen. Bis zu diesem Ereignis tummelten sich sommerliche Badegäste auf der Wiese, die nun beobachten mussten, wie wir sie nach und nach zwischen die Stangen eingitterten. Aber der Baustellen-gewöhnte Bochum-Bewohner lässt sich von derlei Aktionen nicht erschüttern. Bald flatterten Badehosen und Handtücher auf dem Gestänge und es sah so aus, als hätten wir uns an eine künstlerische Installation gewagt.
Ein weiterer Teil des Kunstwerks war die friedliche Königsallee. Keine Autos auf der Prachtstraße und zahlreiche Schlümpfe und Nicht-Schlümpfe, um diese königliche Strecke zu bewachen. Wer dem Schwimmbad entkommen war, durfte darauf entlang flitzen und ich hoffe, alle nehmen sich diesen Parcours noch einmal vor, wenn die Ampeln wieder eingeschaltet sind und die Zweiräder alle paar Meter ausgebremst werden.
Es war unzweifelhaft ein besonderer Tag.
Zuletzt durften die Schwimmradler durch das hübsche Wiesental traben, wobei zu einem Tal immer auch ein Berg gehört, der legendäre Col du Wiesental. Den haben wir Helfer nicht extra aufgeschüttet, wir haben ihn nur beschriftet. Falls jemand aus den Alpen anreist, der hätte ihn vielleicht übersehen.
Das Ende des Kunstwerks fiel mit dem Zeitpunkt „Hopfensaft für alle“ zusammen, so dass es nicht mehr so wichtig war, dass die Schubkarre einen platten Reifen hatte und unsere Arme vom Athleten-Beklatschen erlahmt waren.
„Hier rechts herum – sehr gut, jetzt beißen, super gemacht!“
Chefs müssen Orientierung geben und loben, das weiß jeder und keiner macht es, deswegen ist so ein Wettkampf wie eine warme Dusche für die ganzen hoch motivierten Sportler und Sportlerinnen, die sich salzverkrustet durch die Hitze quälen damit sie sich hinterher eine Urkunde in einen Aktenordner heften können. Diese erfolgreichen Sachbearbeiter waren schon lange wieder zu Hause als unsere Helferparty so richtig Fahrt aufnahm. Je länger allerdings die Bierbude geöffnet war, desto mehr Aufgaben tropften aus dem Zapfhahn. Obwohl eigentlich allenthalben beklagt wurde, dass zu wenig Schilder an der Strecke hingen, schien es einem zuletzt als würde es kein Ende nehmen, dass laminierte Ziel-, Runden-, Anmeldung- und Kuchenschilder an Bäumen und Mauerwänden pinnten. Zu fortgeschrittener Stunde kam gar der Gedanke auf, dass leere Bierkisten einen enormen Pfandwert haben, so dass die Stapel von hier nach da getragen werden mussten bis sie gemeinsam mit den Müsliriegeln eingeschlossen werden konnten. Letztere füllen nach Prepper-Art ganze Regalwände in unserem Vereinsarchiv, so dass jederzeit ein plötzlich einsetzender Hungerast abgewendet werden kann.
Auf Jahre hinaus.
Banane und Schokoladengeschmack, falls sie nicht irgendwann das düstere Aroma von Archivkellern annehmen.
Weitere Partyspiele waren Karaoke und Bingo, wobei es egal war, wie viele richtige Chip-Zahlen wir schließlich in einer Reihe hatten und welche Namen der Moderator durchs Mikrofon pfiff, es gab immer einen Sonnenstich zu gewinnen. Oder eine Banane.
Der größte Schreck während der Veranstaltung wurde ausgelöst, als ein paar Kinder als vermisst galten. Die Panik hielt sich in Grenzen, manche Eltern sind vielleicht ganz froh, wenn sie ihren Nachwuchs einen Moment nicht sehen. Es war ohnehin ein Fehlalarm, die Kleinen waren einfach schneller im Ziel als erwartet. Es fehlte nur jemand, der das bemerkt hätte, so wie zum Beispiel auch Antwortpartner fehlten. Es gab zwar eine Liste von Ansprechpartnern, aber dass der Angesprochene auch Antworten liefert, war nicht immer verbürgt.
Sehr erfolgreich waren dagegen die Qualitätsprüfer für den Hopfensaft. Diese Aufgabe war so beliebt, dass anschließend nichts mehr für den Verkauf übrig blieb. Das macht aber nichts, denn wir haben natürlich alle gewonnen: Medaillen die einen, neue Erkenntnisse über Triathlon und seine Organisation die anderen. Im übrigen haben wir gelernt, wie lange unsere Stimmbänder es aushalten „Super, Vorsicht Kurve“ zu brüllen, ob Wasserflaschen schleppen nur den Rücken zerstört oder auch die Armmuskeln fördert und inwieweit unser Kreislauf stabil bleibt, wenn wir sechs Stunden an einer Straßenecke stehen und rotweißes Flatterband bewachen. Mein Mitgefühl mit Häftlingen ist in diesen Stunden sehr gestiegen. Und natürlich haben wir gelernt, dass eine Party mit netten Menschen, eben eine gute Party ist, selbst wenn die Musik nur vom Handy eines Gastes tönt, der Kuchen mit „der muss weg“ angeboten wird und jeder bevor er sich einmal hinsetzt eine Eisenstange schleppen muss.
Wie auf Partys üblich, sind uns dort jedenfalls viele tolle Ideen für das nächste Jahr gekommen, wie sich Bingo und Bistro optimieren lassen. Sie stehen nun in einer unsere vielen social media Gruppen, so wie die Turnschuhe, die zuletzt ohne Besitzer an der Mülltonne warteten. Mal sehen, ob sie dort jemand abholt.
VIGLi, 19.06.2023