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Berglauf in Bremen

Berglauf in Bremen

Manche bezweifeln, dass es den Weihnachtsmann gibt, dabei kann man ihn allenthalben auf Weihnachtsfeiern treffen, manchmal noch mit einer Schar Engel dabei. Und manche glauben tatsächlich, es gäbe in Bremen keine Berge, obwohl meine Muskeln diese ganz wahrhaftig erspürt haben. Die Engel hörte ich auch schon fast singen.

Das liegt daran, dass Olaf Häsler mehrmals jährlich zum Bremer Bergmarathon einlädt, auf der zugehörigen Urkunde prangt majestätisch der Eiger. Das Prinzip: Es gibt eine hügelige Runde durch den Sportpark in Bremen-Marßel von knapp drei Kilometern. Wer diese 15 Mal läuft kommt auf ein bisschen mehr als 42 km (bei mir waren es 45) und sammelt dabei 1125 Höhenmeter. Wer weitere drei Runden anhängt hat die Ultra-Version eingesackt und noch ein paar Höhenmeter mehr.

Die Runde ist spektakulär muss ich sagen, zumal an einem Neuschneetag im Dezember. Es gibt selten Läufer die diese Eiger-Runde – trotz ausgezeichneter Markierung – beim ersten Mal finden. Die meisten sind aber ohnehin Wiederholungstäter. Weil man die Höhenmeter eben auch ansammeln kann und sich dann der Reihe nach ein T-Shirt, eine Weste oder eine Jacke mit dem Eiger verdient. Das ist bestimmt weniger gefährlich und kostengünstiger als in die Schweiz zu reisen. Mental ist die Herausforderung allerdings enorm. Schließlich kommt jeder und jede der Bergbegeisterten, Runde um Runde an dem Verpflegungstisch und der Zeitmessung vorbei. Dort besteht jederzeit die Möglichkeit bei den Haferkeksen, Lebkuchen und Gummibärchen das Rennen zu beenden.

Aber gut, wer will das schon, wir haben es schließlich vorher gewusst und jedes Mal, wenn ich über die Maulwurfshügel-Wiese abwärts rannte, mir an den gefrorenen Erdhaufen die Zehen stieß, dachte ich neugierig: „Mal sehen, was mich jetzt erwartet!“ Statt Gletscher und Aussicht, trafen wir auf Spaziergänger, Hunde und sehr viel Einsicht.

„Komisches Hobby“ brummelte einer von uns irgendwann und ich fand, er hatte es auf den Punkt gebracht. Wären wir Häftlinge hätte man diese Hügeltour als so eine Art Läuterung betrachten können, aber wir hatten uns alle nur selbst verhaftet und waren nicht bereit unseren Park-Gefängnishof zu verlassen, ehe die Uhr genügend Kilometer zeigte. Dabei waren die Wege diesmal ordentlich mit Schnee bezuckert, was das Gefühl durchaus verstärkte, am Eiger unterwegs zu sein. Gut, ein bisschen Phantasie gehörte auch dazu, wenn wir an Wohnhäusern vorbei in den Wald abbogen, wo neben Baumstämmen auch ein Einkaufswagen verrottete. Aber, was weiß ich, vielleicht ist der Eiger unterdessen auch schon bebaut. Unseren Hügel-Lego-Eiger habe ich jedenfalls tatsächlich von Anfang bis Ende geliebt. Wir mussten zwei Baumstämme und eine Eisenstange überklettern, anschließend ging es durch Laub und Matsch so steil bergauf, dass selbst die Cracks dort aussahen, als hätten sie auf Zeitlupe geschaltet. Kaum hatten wir jedoch den Hang gemeistert, kam ein beständig tiefer werdendes Matschloch und dann immer und immer wieder Weg, Wald, Wurzeln und Stufen, die uns jeden Moment Konzentration abverlangten. Über uns kreischten die Krähen, ob des seltsamen Treibens, hin und wieder überholte mich jemand, überholte ich jemand, aber dann rannte ich wieder allein, die Wege waren ohnehin zu schmal, um da gemeinsam in einen Rhythmus zu kommen. Am Ende jeder Runde gab es das Glücksstück, mit ganz sanfter Steigung und einem für ein paar Meter relativ stolperfreien Parcours zum Verpflegungsstand zurück. Ich malte mir dann jedes Mal aus, welche Köstlichkeit ich mir in den Mund schieben würde, freute mich auf meinen Freund und die wunderbare Anzeigentafel, die mich trotz meines Schnecken-mäßigen Vorankommens immer auf Platz eins anzeigte. Es gab einfach keine zweite Frau auf der Marathondistanz.

Die letzte Runde war dann noch richtig schön, der Abschied glitzerte aus den malerisch weißen Zweigen, es gelang mir erneut nicht zu stürzen, die Krähen waren unterdessen still und am Eiger war ich doch ein bisschen melancholisch. Wir waren Freunde geworden. Beim gemeinsamen Suppe essen danach, hatten wir Bergsteiger dann Gelegenheit die anderen zu sehen, die vorher im Wald nur wie bemützte Wichtel an einem vorbei gesprungen waren.

Olaf drehte noch einmal zu Höchstform auf: Obwohl er vorher die Strecke markiert, selbstverständlich auch einen Marathon eingesackt und hinterher noch mit aufgeräumt hatte, versprühte er beim Verteilen der Ehrungen ungetrübten Elan. So im Nachhinein erscheint es mir eher unverständlich, wieso es Menschen gibt, die sich diese Kultveranstaltung noch nicht angesehen haben. Der Eiger in Bremen, das ist schon mindestens so genial wie der Weihnachtsmann. Man braucht nur ein bisschen Phantasie.

VIGLi, 2. Dezember 2023