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Das Sommer-Ritual

Das Sommer-Ritual

Laut Wikipedia gelten manche Rituale als Kulturgut. Ich möchte unseren Firmenlauf dafür anmelden. Gut ist er sowieso und Kult auch.

Es beginnt jedes Jahr damit, dass unsere unermüdliche Organisatorin eine Abfrage durchführt, welcher Lauf unser Lieblingslauf ist. Bei Doodle-Noodle gibt es dann diverse Kreuzchen von ein paar Vielleicht-Teilnehmern und Eventuell-Teilnehmerinnen. Der Rest kann sich nicht entscheiden, hat kein Interesse oder hat es vergessen. Wer dann am Schluss tatsächlich die Lauf-Shirts überstreift, entscheidet sich nach einem geheimen Mechanismus, dem sogenannten „Bist-du-schon-gemeldet-ich kann-doch-nicht-dann-nehme-ich-den-Startplatz-Ritual“.

Jedenfalls kommt bei der Wahl eigentlich immer der Bochumer Firmenlauf am Kemnader See heraus. Das ist nicht nur ein Lauf sondern ein Happening. Wer in Bochum zu Hause ist, trifft dort meist die ganze Nachbarschaft. Alle, die nicht laufen, schauen zu oder sorgen dafür, dass die kilometerlange Toilettenschlange noch ein paar Meter länger wird. Auch das gehört dazu.

Bei einem Firmenlauf darf keiner einfach in seinem Lieblings-Shirt erscheinen sondern es muss die Uniform der Firma sein. Wir wurden zu diesem Zweck mit farbenfrohen weißen T-Shirts ausgestattet, vielleicht inspiriert vom Arztkittel, wir wollen schließlich mit unserer Forschung Krankheiten verhindern. Und mit dem Laufen natürlich auch, denn Bewegung ist gesund. Ob das auch bei 30 Grad am Ende eines langen Arbeitstags gilt, ist nicht überliefert. Wohl aber, dass es Spaß macht.

Die nächste rituelle Handlung nach der weißen Uniformierung ist das gemeinschaftliche Foto. Deswegen gibt es einen Treffpunkt, ungefähr eine Stunde vor dem Start. Ein paar Laufwillige sind überpünktlich, ein paar kommen zu spät. Die Pünktlichen müssen in der Regel auf die Toilette, wenn die Späten eintreffen und das dauert etwas länger (siehe Ritual Toilettenschlange), so dass es nicht möglich ist, alle gleichzeitig abzulichten. Aber eine Firmen-Foto-Serie ist ja auch nett.

Dann geht es auf zum Start, was bedeutet, dass sich 3000 Menschen zwischen zwei Gitter sperren lassen und zu heißen Rhythmen die Hände nach oben werfen, zur Seite wäre schließlich kein Platz. Dann ertönt der Startschuss und eine Weile passiert nichts, weil es einige Zeit braucht bis sich der Menschenstau auflöst.

Als nächstes wiederholt sich das alljährliche Problem, dass in der ersten Reihe ein paar Wanderer vor sich hin schleichen und als kleine Barriere für die Nachfolgenden dienen. Da der Weg relativ schmal ist, muss Mensch über die Wiese hüpfen, um die Wanderer zu überholen. Die ersten 1000 Meter sind also so eine Art Storchenkilometer.

Danach hat sich die Masse sortiert und schwappt nach einem Wendepunkt Richtung Ziel. Der Zielbogen, ein euphorischer Sprecher, jubelndes Publikum, wer die reichlich 5 km geschafft hat ist ein Held.

Obwohl wir keinen offiziellen Firmen-Treffpunkt haben, gelingt es uns dennoch regelhaft die ganze Truppe wieder zu versammeln. Vielleicht weil unsere weißen T-Shirts so schön leuchten. Oder wir einfach einen Blick füreinander haben. Dabei haben sich alle in diesen Minuten des Laufs verändert, glühende Wangen,glänzende Augen und es gibt einiges zu erzählen. Wer hat wen wann und wo überholt, welche Zeiten sind herausgekommen, besser oder schlechter oder erstmals und diese Sekunden hier und da und wie genau war die Uhr. Das lässt sich alles wunderbar analysieren während uns die Medaillen um den Hals baumeln und uns alle als Sieger ausweisen.

Und wenn mich in zwei Wochen jemand fragt, welche Zeit ich gelaufen bin, werde ich es schon wieder vergessen haben. Aber, was ich noch weiß ist: Der Abend war gut!