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Ein Sommertag mit Tetraederblick

Ein Sommertag mit Tetraederblick

Von Bochum nach Bottrop gibt es eine schöne Radstrecke, Erzbahntrasse, Nordsternpark, Rhein-Herne-Kanal. Nach Bottrop zu radeln gibt es viele Gründe, einer davon ist das Bottroper Ultra-Lauf-Festival. Da darf Mensch wahlweise 24 oder 6 Stunden laufen und wird dabei betüddelt. Die Laufstrecke ist dabei wenig abenteuerlich, es gilt eine etwa 800 Meter kurze Park-Runde so oft zu rennen (oder wandern) wie es einem beliebt.

Der Vorteil ist, dass es möglich ist mit den Cracks und den Gemütlichen gleichzeitig auf der Strecke zu sein und die nächste Apfelschorle nie weit ist. Der Nachteil ist: Die landschaftlichen Überraschungen halten sich in Grenzen.

Ich befand also, dass sechs Stunden Parkbesichtigung genügen. Es gab ein rosarotes Blumenbeet, zwei Spielplätze, das Verpflegungszelt, Musik, Blick zum Tetraeder, eine kleine Anhöhe.
Und dann wieder von vorn.

Aber landschaftliche Abenteuer hatten wir schließlich schon auf dem Hinweg erlebt. Mit Laufkameradin Luisa war ich klimaneutral mit dem Fahrrad angereist. Das Navi meinte es gut mit uns und zeigte uns kurz vor Bottrop, dass es dort Urwald-ähnliche Gebiete gibt, die mit Brombeerranken und alten Eisenbahnschienen so einiges zu bieten haben – nur keinen gemütlichen Radweg. Immerhin, dass ich eine Mitstreiterin für diese sonnige Anfahrt gefunden hatte, war schon besonders, gemeinsam kämpften wir uns durch die Büsche und standen schließlich etwas zerkratzt und glücklich am Start.

Das Wetter war sommerlich, sehr sommerlich. Nach sehr wechselvollen Wochen mit Kälteeinbrüchen und viel Regen, präsentierte sich der 20. Juli als heißester Tag der Woche und vielleicht wird es letztlich der heißester Tag des Sommers sein. Die 30 Grad Marke knackten wir schon um 11 Uhr und die meisten Menschen lagen irgendwo im Schatten und aßen Eis. Nur wir Läufer erkundeten die Wüste Batenbrock.

Immerhin gab es schattige Passagen auf der Strecke - ein Lob den Bäumen - und die Veranstalter vom Adler-Langlauf-Verein taten alles, um unsere Überhitzung zu verhindern, es gab kleine Duschen und jede Menge Wassereimer.

Die ersten Runden waren die schwierigsten, wir waren noch frisch, aber mit welcher Strategie sollte man sich am Besten dagegen wehren, der Hitze nicht zu erliegen? Schnell ein paar Runden laufen und dann im Schatten ausruhen? Oder lieber ein gleichmäßiges Tempo vorlegen? Gerade als ich vor mich hin murmelte „Es ist schon sehr warm heute“, antwortete ein anderer „Es wird noch wärmer.“ So war das eben, man war nie allein und fand leicht jemanden zum Plaudern.

Eine fragte, ob ich die Verena wäre, die Bücher schreibt (ja), ein anderer bemerkte charmant, dass man mit Ü60 schon sehr alt ist (danke). So kreiselten wir wie die Sterne auf der immer gleichen Umlaufbahn und kamen uns manchmal mehr, manchmal weniger nahe. Was man sich auf so einem Lauf von seinem Leben erzählt, würde im Nicht-Läufer-Leben mehrere Jahre dauern.

Erstes Ziel war es, zehn Kilometer zu rennen, das machen wir schließlich immer samstags.

Zweites Ziel war der Halbmarathon. Dann überlegten Luisa und ich, dass es nett wäre, 30 km zu laufen, denn die Anfahrt mit dem Rad war auch knapp 30 km. 30-30-30 wäre doch hübsch fürs Trainingstagebuch. Doch was soll ich sagen, nach 30 km waren die sechs Stunden noch lange nicht um, die Kühlung funktionierte und also peilten wir die 40 km Marke an.

Aber was sind schon 40 km, dann muss es doch wenigstens ein Marathon sein. Und dann sah ich auf die Anzeigentafel und erkannte, dass ich auf den ersten Platz der Altersklasse gerutscht war. Keine Ahnung wie weit die zweite hinter mir war, aber nun galt es etwas zu verteidigen. Wer aufs Treppchen kommt, sollte bei einem Sechs-Stundenlauf schon mehr als einen Marathon in den Beinen haben, dachte ich mir und begann wieder Tempo aufzunehmen. Tempo nach 30 km Fahrrad und einem Marathon bei 31 Grad. Was alles möglich ist!

Schließlich war die letzte Viertelstunde angebrochen, wie ich es liebe, diese Aussicht darauf, dass der Wettkampf nun gleich zu Ende ist und die Freude noch immer auf den Beinen zu sein! Eine innere Macht zog meine Mundwinkel zu einem breiten Grinsen, ich war so knallvergnügt und ganz entzückend wurde ich von den anderen Gestirnen angefeuert: Los, zwei Runden schaffst du noch! Ich rannte, vergaß meine übliche Geh-Pause am Hügel, noch eine Minute! Nicht weit vor mir die Helfer mit dem Messrad, die sich schon postierten und da legte ich tatsächlich noch einen Schlusssprint hin!

Dann das laute Hupen, das uns 6-Stunden-Sterne alle zum Anhalten nötigte. Mit dem Messrad wurden die letzten Meter erfasst und siehe da, ich hatte mich mit 45,2 Kilometern doch noch in Ultra-Dimensionen larviert, 53 Runden und ein bisschen.

Das genügte diesmal auch für den ersten Platz in der Ak, die zweite folgte nicht weit hinter mir. Es gab ein schönes Bierglas als Pokal, eine Urkunde und dann vor allem besten Kuchen, was nach sechs Stunden mit Melonenstückchen, Weintrauben und einem halben Riegel einfach supercalifragilistisch schmeckte.

Aber für uns Bochumer war der Tag noch nicht zu Ende. Die Fahrräder warteten. „Das ist doch eine schöne Strecke“, lächelte Conny am Wegesrand. Da hatte sie nun auch wieder Recht und so radelten wir zwei Ausgedörrten in den immer noch warmen Abend, die schöne Strecke. Die Brombeerhecken ließen wir diesmal aus, dafür übersahen wir eine Umleitung und fanden uns in einer Baustelle wieder. So ist das eben, wenn die Tour nicht einfach auf 800 Meter im Kreis führt.

Als wir in die Zielstraße einbogen war es immer noch warm. Ein Sommertag ging zu Ende. Und während ein Gewitter am Horizont auftauchte, saß ich mit Schorle in der Hand auf dem Balkon und freute mich.

VIGLi, 20. Juli 2024