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Gänsbrüh im Sonnenschein

Gänsbrüh im Sonnenschein

Rodgau, Dudenhofen, Gänsbrüh – klingt nicht nach Weltstadt. Und doch ist es das Mekka der Ultraläufer im Januar. Zur 25. Auflage war ich nun endlich auch dabei und glücklicherweise konnte ich meine junge Nachbarin Luisa überzeugen, dass es nichts besseres gibt, als einen Wochenendausflug in den Rodgauer Wald.

Ganz entspannt fünf Kilometer laufen.

Zehn Mal.

Die Medaille bekamen wir diesmal schon bei der Anmeldung ausgehändigt, da wird einem dann sehr deutlich, dass man das Ganze wirklich freiwillig macht. 50 Kilometer laufen an einem Samstag.

Zunächst gab es für mich in der Turnhalle allerdings die ersten Überraschungen. Da wir vier Stunden Bahn gefahren waren, um unser Ziel zu erreichen, erwartete ich nicht allzu viele Bekannte aus meinem Umfeld. Weit gefehlt, gerade begrüßte ich den einen (den ich zuletzt in Wien gesehen hatte), da traf mich ein anderes Augenpaar und Luisa fotografierte erstaunt wie wir uns kurz darauf in den Armen lagen. Das ist das Wesen der Ultrafamilie, wer lange Kilometer in Freud und Leid gemeinsam verbracht hat, vergisst sich nicht wieder. Erstaunlicherweise gelten Umarmungen nicht als Doping, dabei konnte ich den leistungssteigernden Effekt unterwegs hautnah erleben. Zwei, drei Worte wechseln, sich einmal herzen und die Welt ist verändert.

Das andere Mittel, das zum Einsatz kam, um uns zu pushen, war die Musik. Bei Kilometer zwei dröhnten die Boxen und ich flog auf den Takten dahin bis mir das Fliegen nicht mehr so richtig gelang, das Grinsen im Gesicht blieb aber. Bei Kilometer vier baute sich irgendwann ein weiterer Helfer mit Musik auf und klatschte sich die Finger wund an der winzig kleinen Anhöhe, die im Verlauf der Veranstaltung für mich zum Mini- Everest wurde. Die Rodgau-Runde muss man wissen, ist wirklich flach, ab Kilometer 30 konnte ich allerdings diverse Höhenmeter ausfindig machen, die mich zu Gehpausen einluden. Übrigens hatten wir Sonnenschein und 12 Grad. Gut, dass ich mir noch wasserfeste Schuhe gekauft hatte, nachdem ich im Training durch Schlamm und Eismatsch gerutscht war. Im Januar ist schließlich nicht unbedingt mit Frühling zu rechnen. Aber im Läuferhimmel saß wohl ein Ultra-Petrus und befand, wenn wir uns schon zum Jahresanfang an den Start trauten, können wir auch ein wenig belohnt werden. Dazu gehörte auch, dass wir am Verpflegungspunkt liebevoll umsorgt wurden und dass ich am Schluss noch zwei Rehe beobachten konnte, war für mich das Tüpfelchen auf dem I.

Luisa war leichtfüßig vor mir her gesprungen und schon im Hotel, als ich 30 Minuten später die Ziel-Linie überquerte. Gleich stand eine liebe Helferin da und wollte mir einen Wärmeschutz überziehen, aber ich verzichtete auf das Plastik und fiel der Guten stattdessen tränenreich in die Arme.

Ich habe es geschafft! Ich verlasse jetzt diese Runde, die sechs Stunden mein zu Hause war. Keine Rockmusik mehr, kein Lichter-Wolkenspiel am Himmel, kein Kiefernwald, keine Mitstreiter. Keine Gummibänder mehr übrig, die ich von links nach rechts sortierte, um die Runden finger-fühlend zu zählen. Finish, fertig,Gänsbrüh-beseelt.

Noch 2,5 Kilometer bis zur Dusche im Hotel, meine Beine schafften es nur noch bis zum Bäcker. Luisa hatte schon ein Lokal für den Abend im Blick, sonst wäre ich wahrscheinlich bis ultimo an meiner Kaffeetasse kleben geblieben. Rodgau, ich war dabei und die Medaille gehört mir jetzt ganz wirklich!

Rodgau, 25.1.2025