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Team Einhorn on Tour

Team Einhorn on Tour

„Das ist Theo, er soll dir Glück bringen“, erklärte meine Laufkollegin und drückte mir ein kuschelweiches kleines Einhorn in die Hand. Danach konnte eigentlich nichts mehr schief gehen mit dem geplanten 70-km-Lauf. Schließlich hatte ich nun die Möglichkeit auf dem Einhorn weiter zu reiten, falls ich müde wurde, das fällt nicht Mal unter die Doping-Kontrolle.

Theo und ich reisten also frohgemut mit Rad und Bahn in das schöne Monschau, genauer in den Ortsteil Konzen. Der ist genauso klein wie berühmt, jedenfalls unter Laufbegeisterten. Ein Wochenende lang, wird dort alljährlich alles geboten, was laufende Zweibeiner lieben, von Kurz- bis Langstrecke, von Kuchen bis Nudeln.

Als ich sonntags um kurz nach 5 Uhr mit Stirnlampe auf dem Kopf am Start stand, lief das letzte halbe Jahr noch einmal im Zeitraffer vor meinem inneren Auge ab. Es war viel passiert, nicht nur Schönes. Der Plan in Monschau den Ultra zu laufen war die beruhigende Melodie, die sich über die Monate spannte. Was ziehe ich an, was esse ich, welches Training brauche ich? Das sind so elementare Fragen, die für größere Sorgen wenig Raum lassen. Eine Erkältung in der letzten Woche vor dem Wettkampf war in diesem Lebenskokon die größte denkbare Katastrophe.

Und dann geht es los, der lange geplante, erhoffte, ersehnte Tag.

Dunkel, kühl, die Lampen funkeln, werfen Schatten, wir tappen durch den Wald, das erste Licht lugt über die Bäume. Es wird hell bevor die Sonne kommt, kalt noch einmal nachdem sie schon aufgegangen ist. Wir sind eine große Gemeinschaft und doch lebt jeder in seinem eigenen kleinen Universum. Ein Schritt vor den anderen setzen, ein Kilometer nach dem anderen unter die Fußsohlen nehmen. Wasser, Äpfel, Kekse, Musik. Die Sonne wird drängender, der Schweiß salziger und die Eifel entblättert ihre ganze Vielfalt. Hügel, Wiesen, Felder, Heide, Wald.

Eine Zeitlang laufe ich mit einer anderen Frau und doch sind wir selten nebeneinander, Mal ist die eine ein paar Schritte voraus, Mal die andere, Wir laufen und gehen im Wechsel, jeder in seinem Rhythmus, kreisen auf einer Umlaufbahn, sprechen ein paar Worte, verlieren uns wieder. Dann nur noch Wald, Wiese, Kühe, eine lange Straße. Ich konzentriere mich auf den weißen Seitenstreifen, als würde er mich vorwärts ziehen. Dann das Ziel, die Rose, die Medaille, die Umarmung.
Alles ist gut, vollkommen gut.

Die Erschöpfung kommt erst später. Badewanne, Pizza, Bett. Der Körper ist ein Wunderwerk, im Schlaf wird alles repariert. Als ich aufwache, sitzt Theo neben mir und sagt: Wollen wir wieder los?

Ich beschließe, mit dem Rad nach Bochum zurückzufahren und auf die Bahn zu verzichten. Wer 70 km laufen kann, kann auch 150 km radeln. Ohne Zeitlimit, die Wettervorhersage ist gut. Keine Gewitter. Allerdings wird es heiß, sehr heiß Ich folge der Stimme aus dem Navi, trete gleichmäßig in die Pedale und staune wie ich mit dem Rad Tempo aufnehme. Die Welt rauscht vorbei, die Vennbahn, die grünen Hecken, die Deichkrone am Rhein. Ich halte beim Bäcker und sorge für Erstaunen, weil die Bäckersfrau mir alles einpacken will und ich sage: Nein, das ist für jetzt. Der Hunger ist gestillt, der Durst bleibt den ganzen Tag ein unterschwelliges Gefühl, das Wasser in der Flasche ist nach kurzer Zeit wieder brühwarm. Die kleine Fährfahrt bringt Entspannung, danach führt der Radweg an einer Straße entlang, bergauf. Ich denke, das geht jetzt nicht bei 34 Grad und fahre einfach weiter und es geht eben doch.

Irgendwann bin ich oben. Grüne Hügel unter mir, ich kenne mich wieder aus, biege auf vertraute Pfade Richtung Ruhr ein. Am Ufer halten, ins Wasser steigen, alles klebt von Schweiß und Abenteuer. Gänse landen neben mir, Theo und ich gucken aufs Wasser. Ich bin glücklich.

August 2024